Vorkaufsrecht im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung

Seit dem 06.12.2021 liegen die vollständigen Urteilsgründe zum Urteil des BVerwG vom 09.11.2021 (Az.: BVerwG 4 C 1.20) über die gesetzlichen Voraussetzungen zur Ausübung eines Vorkaufsrechts durch die Gemeinde im Geltungsbereich einer sog. Milieuschutzsatzung (Erhaltungssatzung) vor. Die Urteilsgründe enthalten keine Überraschungen mehr, sondern begründen sehr ausführlich die Rechtsauffassung des Gerichts, die bereits in dessen Presseerklärung vom 09.11.2021 mitgeteilt worden war.

Das Urteils betrifft die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Ausübung des einer Gemeinde im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung grundsätzlich zustehenden Vorkaufsrechts ausgeschlossen ist. § 26 Nr. 4 BauGB schließt die Ausübung des Vorkaufsrechts aus, wenn das Grundstück entsprechend den Zielen und Zwecken der Erhaltungssatzung bebaut ist und genutzt wird. Die für die Praxis zentrale Aussage der neuen Entscheidung ist: es kommt dabei maßgeblich auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts an und nicht auf mögliche zukünftige Entwicklungen der Bebauung und Nutzung des verkauften Grundstücks.

Die bisherige Praxis der Gemeinden sah dies anders. Vorkaufsrechte wurden bislang vor allem dann ausgeübt, wenn die Gemeinde befürchtete, dass ein Verkaufsfall dazu führe, dass sich die heute vorhandene Zusammensetzung der Wohnbevölkerung verändern wird. Auch in der Rechtsprechung und juristischen Literatur war umstritten, ob eine Gemeinde ihr Vorkaufsrecht wegen einer befürchteten Entwicklung von Bebauung und Nutzung eines Grundstücks ausüben dürfe. Unstreitig dürfte sein, dass dieses Verständnis der Regelungen des BauGB es den Gemeinden deutlich besser ermöglicht, die mit der Erhaltungssatzung verfolgten Ziele zu fördern. Es findet aber im Wortlaut des BauGB keine Stütze. Da sich auch der Entstehungsgeschichte des BauGB keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass der Gesetzgeber die Regelungen über deren Wortlaut hinaus angewendet wissen wollte, hat das BVerwG die aktuelle Praxis nun für rechtswidrig angesehen.

Was folgt daraus für die Praxis? Aktuell ist die Möglichkeit zur Ausübung von Vorkaufsrechten durch die Gemeinde im Vergleich zur bisherigen Praxis ganz erheblich eingeschränkt. Die Ausübung ist faktisch auf Fälle beschränkt, in denen das Gebäude bereits heute erhebliche Missstände aufweist (insbesondere Baumängel oder Leerstand). Bereits ausgeübte Vorkaufsrechte sind rechtwidrig, aber wirksam, sofern sie bereits bestandskräftig geworden sind. Von großer Bedeutung für die Praxis wird außerdem sein, dass auch Abwendungserklärungen, die in der Vergangenheit zur Abwendung eines (in der Sache gar nicht bestehenden) Vorkaufsrechts abgegeben wurden, rechtswidrig sind. Da diese Abwendungserklärungen anders als ausgeübte Vorkaufsrecht nicht bestandskräftig werden, sprechen die ganz überwiegenden Gründe dafür, dass sich Grundstückseigentümer an diese Abwendungserklärungen nicht (mehr) gebunden fühlen müssen. Sie sind unwirksam.

Mit großer Sicherheit wird sich der Gesetzgeber kurzfristig dem Thema annehmen und das BauGB ändern. Die Möglichkeit zur Ausübung eines Vorkaufsrechts mit dem Ziel, die heutige Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu erhalten, besteht derzeit nicht, ist aber politisch gewollt. Um diesem Instrument wieder die Schlagkraft zurückzugeben, die es in den vergangenen Jahren hatte, muss der Gesetzgeber den Wortlaut des BauGB anpassen.

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